Sichtexotheismus
Seit dem 01. Januar 2011 gilt die Zeitrechnung des Sichtexotheismus. Aus Freundschaft wird ein Label, aus Bewunderung Kollaboration. Tufu und Anthony Drawn legen zur Gründung das Album »Seelenquantisierung« vor, das bis heute nicht an gedanklicher Schärfe und akustischer Smoothness verloren hat. Mainz und Umland wird zur Wirkungsstätte der Sichtexoten, die Freundeskreise weiten sich. Bundesweit tauchen plötzlich Sichtexot-Hoodies an den gestählten und gebrochenen Körpern komplex denkender Wesen auf.
Tufu & Anthony Drawn – Seelenquantisierung (2011)
Im Jahr 2013 veröffentlichen Luk&Fil aka. Loki und Knowsum aka. Negroman und Nepumuk ihr Debüt, »All That Glitter Ain’t Soul«, Eloquent holt Producer Wun Two für »Jazz Auf Gleich« ins Boot, Tufu legt mit »Hässlon« vor und mit »Abdoom & Unraum« brachial nach. Die Jüngerschaft des Sichtexotheismus steht griesgrämig zwischen lauter Spaßvögeln auf der Hauptbühne des splash! und spielt das Publikum der Tapefabrik dermaßen an die Wand, dass Schweiß von der Decke tropft. Die Sichtexoten kämpfen sich erfolgreich durch den kulturellen Sumpf des Landes und können ein kleines Stück des aufmerksamkeitsökonomischen Kuchens an sich reißen.
Eloquent & Wun Two – Jazz Auf Gleich (2013)
Bis heute finden immer mehr überqualifizierte Künstler:innen ihren Weg zum Label. Die Undagawds liefern rohe Oldschool-Vibes, Ruhe&Bit packen die Gitarre aus und Der Täubling beleidigt sein Publikum, um nur einige zu nennen. Das musikalische Spektrum reicht von knorriger Baumfällerei über neblige Leere bis hin zur Süße der Dörrfrucht, immer genussvoll und kathartisch zugleich. Immer mehr Hörer:innen finden ihren Weg ins Publikum, wunderschöne und sehr kluge Menschen, die gerne tiefer graben. Noch nie war Sichtexot so erfolgreich wie heute.
Der Täubling – Für Jean-Baptiste (2017)
Dabei steht Freundschaft heute immer noch über wirtschaftlichem Profit, Schwarzes Gold ist wertvoller als silbern glitzernder Plastikscheiß. Wer im Kreis der Sichtexoten steht, muss sich keinen musikalischen Dogmen anpassen, stattdessen wird der Liebe zur Kunst höchster Wert beigemessen. Kein Happy Hardcore, keine Good Vibes Only-Heuchelei. Oftmals sind die Protagonisten des Labels schlecht gelaunt, gar griesgrämig. Aber doch nur, weil sie darin ihr Seelenheil finden. Und besser beinharter Pessimismus, als naiv in die nächstbeste Falle der Musikindustrie zu tapsen. Die allumfassende Besonnenheit der Sichtexoten spendet dennoch jederzeit sonnige Wärme.
Negroman – Bauchredner (2019)
HipHop hat sich in den letzten zehn Jahren massiv ausdifferenziert – Daran ist auch die Jüngerschaft des Sichtexotheismus gewachsen. Negroman entdeckt seine Liebe für RnB und steil überfordernde Lyrik, Nepumuk sucht stets nach dem nächsten absurden Loop. Tufu verliebt sich in die analoge Maschinerie, während Eloquent die einst selbstverständlichen 90BpM hinter sich lässt. Treue gilt dagegen dem ehrlichen Handwerk des Rap, dem Anspruch an das eigene Publikum und der Gruppendynamik, in der jeder der größte Fan des Anderen ist. Der Sichtexotheismus, das ist ein Mindset. Offenheit, Diversität, Liebhabershit. Kein »Früher war alles besser« – Sichtexot ist die Zukunft.
Nepumuk – A.I.S (2020)
Grenzen durchbrechen, an denen Andere Halt machen. Einen skeptischen Blick auf das Musikgeschäft werfen, ohne sich der künstlerischen Vielfalt zu verschließen. Von der stets halb verstümmelten Kultur lernen und sie im Gegenzug bereichern. Die Überforderung und Unübersichtlichkeit des Sichtexotheismus ist die perfekte Ergänzung zur voranschreitenden Verflachung hiesiger HipHop-Kultur. Das ikonische Logo mit dem langen I ist und bleibt ein Qualitätsgarant für Musik mit Bedacht.
SXT MF der sound ist acid!